Irgendwie hat es gedauert, bis ich mit dieser Stadt etwas warm geworden bin. Ganz überzeugt hat sie mich immer noch nicht.
Woran liegt es?
– Vielleicht liegt es am Hostel, das zwar ganz okay ist, aber mehr auch nicht. Die Lage am Fährhafen und der Hauptstraße ist laut und man hört den ganzen Tag und die halbe Nacht, wie Fähren beladen werden und es piept immer, sobald ein Gefährt rückwärts fährt. Die Stadt hört sich wie ein Industriegebiet an.
– Vielleicht liegt es daran, dass die Leute hier nicht so ‚inselmäßig‘ sind. Man spürt keinen Unterschied zwischen einer Stadt im Mainland und hier. Mal einen Plausch im Laden, aber da muss man schon gezielt Fragen stellen. In Stornoway ist das anders.
– Die Souvenir-Läden und Cafés verlangen astronomisch hohe Preise. 4£ für einen Latte? Das ist Wucher. Vielleicht ist das die Folge der (Kreuzfahrt)Tourismus-Industrie?
Ich habe überall nachgefragt, wie sie die Kreuzfahrer und Touristen (es gibt Organisationen, die Orkney-Tagestouren von Edinburgh aus anbieten…..völliger Wahnsinn!) empfinden, die hier für einen Tag einfallen, manchmal bis zu 4000 auf einmal. Der Mann bei Skara Brae sagte, dass sie einen geschäftigen Sommer hatten, was gut für Finanzen und kommende Projekte ist, aber die Individualtouristen bleiben eher weg. Der Guide in Maeshowe berichtete ähnliches, allerdings muss man sich hier anmelden und wenn die Touren voll sind, kommen auch nicht mehr Besucher; aber die Touren von Mai bis September sind immer ausgebucht! Der Ring of Brodgar musste eingezäunt werden und außenherum sind nun Sperrbänder, da der Boden aufgrund der hohen Besucherzahlen nur noch ein Schlammloch ist. Ein Schild fleht: Die Steine stehen nun schon so lange da, bitte verhalten Sie sich umsichtig, damit sie auch noch länger stehen bleiben. Die kleinen Craft – Shops in der Stadt sagen, dass recht wenig der Kreuzfahrer nach Kirkwall kommen und die heimische Wirtschaft fördern. Warum sollten sie hier essen und trinken, wenn es auf dem Schiff all inclusive ist? Die vielen Crafter (Juweliere, Wollarbeiter, Töpfer und Drechsler) haben sich zusammengeschlossen und einen Laden in der Innenstadt gemietet. Dort kann man alle Produkte, die man in ihren Ateliers auf den Inseln verstreut besichtigen kann, kaufen. Tolle Sache, dass es diese Vereinigung gibt; ich fand es allerdings total spannend, die Künstler zu besuchen und ihnen live bei der Arbeit zuzusehen. Ich verstehe nun besser, welche Gedanken beim Designen dahinterstecken und man kann den Arbeitsprozess und damit auch den Endpreis besser einschätzen. Fazit: Die Bewohner haben wenig vom groß augebauten Hafen, die geschichtlichen Attraktionen mit Eintritt werden reich, die ohne langsam aber sicher zerstört. Folge: Auch hier wird man bald zahlen müssen.
– Aber es gibt auch Glanzpunkte. Die St. Magnus Cathedral ist wunder-, wunderschön. Besonders ist, dass die Säulen innen nicht verputzt sind, man sieht jeden einzelnen Stein, der das Gebäude trägt. Leider hab ich nur Fotos von außen.
– Schöne Ruinen erinnern an den Glanz früherer Tage.
– Das Orkney Museum zeigt wunderbar die Geschichte der Insel und man kann sich hier Stunden aufhalten. Ausstellungen gibt es auch; ich habe die Fotos einer Art-Performance einer jungen Frau gesehen, die den St Magnus Stein (35kg) auf einem Wagen durch Norwegen gezogen hat. Der Stein hat zwei Fußabdrücke des Heiligen und Menschen, die ihr begegneten durften sich daraufstellen. Der Stein heißt Magnus-boat und hat vor Jahrhunderten die Reise von Norwegen nach Orkney schon mal gemacht. Tolle Aktion!
– Das Ba‘ – Game. An Weihnachten und Silvester kämpfen die Männer Orkneys um einen Ball. Der wird am Marktplatz in die Menge geworfen und dann muss er zu einem Zielpunkt gebracht werden. Es ist alles erlaubt: werfen, kicken, unterm Pulli verstecken. Sobald man den Ball hat, stürzen sich ca 200 Männer auf einen. Es kam schon vor, dass Spieler wie Zuschauer ins Hafenbecken geplumpst sind, ein Hotel verwüstet wurde, als der mit dem Ball hineingeraten ist und alle hinterher und einmal ging der Ball sogar ganz verloren….man hat ihn nicht mehr gefunden. Im Jahr 1946 hat eine Frau gewonnen, da viele Männer noch nicht aus dem Krieg zurück waren, durften die Frauen mal spielen. Noch heute werden alle Fenster und Türen in der Innenstadt verbarrikadiert. Dieses Spiel macht Kirkwall sympathischer.
Kirkwall alleine ist keine Reise wert, aber bei einem Orkney-Besuch sollte man mindestens einen halben Tag einplanen.😊
Nachtrag: Der letzte Abend hier war so schön, dass ich nun doch mit einem positiveren Gefühl abreise. Mit meiner Zimmernachbarin war ich noch in zwei Pubs auf einen Abschiedstrunk (der aufgrund der Fährfahrt bei mir aus alkoholfreiem Gingerbeer bestand. Angeblich haben schon die Wikinger gegen Seekrankheit auf Ingwer gekaut. Jetzt kann nichts mehr schief gehen😉). Der zweite Pubbesitzer war richtig lustig und die Musiker der Session sehr talentiert. Die Songauswahl war perfekt, eine Mischung aus bekannten und unbekannten Jigs/Reels und humorvollen toll vorgetragenen Liedern. Leider mussten wir schon früher gehen, weil der Check-in meiner Fähre um 23.15 Uhr endet. Schiff ahoi!!!!!!
Nachtrag 2: Das mit dem Ingwer ist eine GLATTE LÜGE! 😳😵😷