BREXIT

Ein unpolitischer Beitrag

Dieser Post ist schon sehr lange fällig, aber es ist schwer, die Stimmung in diesem Land in Worte auszudrücken.

Verunsicherung und Besorgnis

Ich habe bisher nur Brexit – Gegner getroffen. Es kann sein, dass sich der typische ‚Brexit-Voter‘ weder auf Wanderwegen noch in Hostels aufhält. Egal, wie und wo das Gespräch beginnt, nach ca zwei Minuten landet man beim Brexit.

Fast entschuldigend fragen die meisten Engländer/Waliser/Schotten, was man selbst darüber denkt. Es ist ihnen spürbar peinlich, das Land in dieser Situation zu sehen. Sie fragen sich, was dieses Votum über sie als Nation aussagt und wie der Ottonormalverbraucher in Deutschland dazu steht.

Ältere Menschen sind verunsichert wegen der Rente.

In den Medien ist die Grenze von Nordirland zu Irland ein riesen Thema.

‚Rund 30.000 Jobs im Londoner Finanzzentrum werden gestrichen!‘ – Jeden Tag gibt es für die Menschen  hier neue Horrormeldungen.

Eine der Garden-Volunteers, eine Dänin, die seit 2002 in Aberdeenshire wohnt und als Krankenschwester arbeitet, hat nun die englische Staatsbürgerschaft beantragt. Nachdem sie das erzählt hat, brach eine hitzige Brexit – Diskussion aus, die schließlich von Headgardener Laurie gestoppt werden musste. Ein Mann verteidigte stur seine Entscheidung, ihm gehen allerdings schnell die Argumente aus. Wut, Ohnmacht, Verzweiflung schwanken zwischen Hoffnung und Zuversicht.

Das Thema Politik war im Camp ein ’no-go‘-Thema. Eine Teilnehmerin sagte, dass sie eine Woche so tun möchte, als ob alles normal wäre. Es beschäftigt die Menschen, es hängt wie eine große, graue Wolke über allem.

Ein Ehepaar hat mir in Wales mitten auf dem Offa’s Dyke Path erzählt, dass sie ihr Ferienhaus in Frankreich verkaufen mussten, das seit drei Generationen in Familienbesitz war.  Natürlich ist das ein Luxusproblem, aber der Brexit reicht in alle Lebensbereiche und mit dem Verlust des Zweitheims geht eine Ära zuende. ‚Ich hatte gehofft, die Sommer dort mit meinen Enkeln zu verbringen‘, sagt die Frau bekümmert.

Der Hostel-Besitzer in Wales, ein ca 40 – jähriger depressiv wirkender Mann, prophezeit einen Bürgerkrieg innerhalb der nächsten drei Jahre. Sehr düster, aber nichts ist ausgeschlossen!

Die Mini-Fabrik kämpft ums Überleben. Ungefähr 270 Einzelteile ‚reisen‘ täglich zwischen dem Festland und der Insel hin- und her. Selbst wenn man das finanzielle Problem mit den Zöllen auf den Endverbraucher abwälzen kann, kommt es durch Kontrollen zu zeitlichen Verzögerungen, die nicht mehr aufgefangen werden können. Das wäre das Aus für 4000 Arbeitsplätze in einer strukturell schwachen Region.

Wut und Hilflosigkeit

Eine second – generation Irin auf der Fähre nach Lundy ist wütend über die Tatsache, dass man hat das Volk entscheiden lassen. Sie sagt, die Medien haben die Meinungen bewusst und gezielt manipuliert, viele haben sich nicht informiert. Wofür bezahlt man die Politiker?

Keiner weiß, was passieren wird. Niemand! Es ist frustrierend! 

13 Kommentare zu „BREXIT

  1. Ja, der Brexit…
    Ich sehe online auch immer total widersprüchliche englische Zeitungsartikel und höre nicht minder widersprüchliche Nachrichten auf BBC und deutschen Sendern. Meines Erachtens nach hat sich die Stimmung im Land innerhalb des letzten Jahres sehr gewandelt. Während im Oktober 2016, zumindest als ich da war, bei mir eine „wir schaffen es noch, den Brexit zu verhindern“ Euphorie aufkam (gestützt von dem, was in den britischen Medien zu lesen und zu hören war), war es diesen Sommer und diesen Herbst bei meinen Besuchen ganz anders.
    In Cornwall habe ich einige ältere Herrschaften getroffen, die sagten, England wäre zu „pro Europe“ und Cornwall wollte eben auch nicht zu England gehören. In Hostels (in Cambridge) Menschen habe ich Menschen getroffen, die den Brexit unterstützen. Oder im Pub doch einige, die sagten, wie gut wir es doch in Deutschland hätten. Sie wollten „ihr England ohne Ausländer“ zurück. Die waren in den 80gern zuletzt in Deutschland und hatten somit ein etwas anderes Bilde der Situation.
    Ich habe das Gefühl, es geht vieles total durcheinander.
    Ich verstehe nicht, wie man sich als Bürger so wenig informieren kann und finde es unverschämt, wie sehr die Politiker die Bevölkerung mit Lügen manipuliert haben.
    Was soll da am Ende bei herauskommen? Es kann doch nur Verlierer geben!
    Wenn man versucht alles zu verfolgen, wird man SEHR frustriert und resigniert. Sollte man das also lassen???
    Insgeheim hoffe ich also immernoch auf das Wunder und darauf, dass wir alles nur geträumt haben… 😢😟

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    1. Ich hoffe auch auf ein Wunder! Mir tut es leid, die Leute alle so verunsichert und bekümmert zu sehen. Ein Europa ohne Großbritannien ist für mich nur schwer vorstellbar……ich wäre auch für die ‚aufwach und nur geträumt‘-Variante 😢

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  2. Alle die nicht zu dieser Wahl gegangen sind, haben in meinen Augen einen großen Fehler gemacht. Ich kann verstehen, dass manche jetzt einen anderen Pass beantragen und sich Sorgen um ihr Aufenthaltsrecht machen, auf beiden Seiten des Kanals, und ich kenne auch Menschen, die das schwer betreffen wird. Aber das Beispiel mit dem Ferienhaus kommt mir etwas extrem vor. Bisher musste doch eigentlich noch niemand irgendetwas, weil wenig tatsächliches schon passiert ist. Aber es werden ziemlich sicher auch weiterhin Briten ihre Ferien auf dem Kontinent verbringen können und EUler ins UK reisen können. Es wird vielleicht wieder komplizierter, aber ein Szenario, in dem ein Brite keine Immobilie in der EU mehr besitzen könnte, kommt mir doch fast schon hysterisch vor.

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    1. Ja, das mag sein! Das Paar sagte, ihnen wäre es zu kompliziert mit den womöglich anfallenden Abgaben und Steuern.Vor allem wenn sie es vermieten. Ich kenne mich nicht aus, mit den ganzen wirtschaftlichen Folgen für Firmen und Privatleute. Aber es zeigt die Verunsicherung der Leute und auch die damit einhergehenden Panikreaktionen!

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  3. Ich ergänze mein Luxusproblem. Wollte ein Cottage in England kaufen, zunächst vermieten und nach der Rente umziehen. Alle Informationen eingeholt, Kontakte aufgenommen, „nur gerade noch diese Abstimmung“ abgewartet; obwohl – die werden doch wohl nicht.
    Taten sie aber. Plan gestrichen. Weiss ich, ob ich als „Europäer“ anders besteuert werde, enteignet, ob ich da jemals leben darf?
    Ich hatte einige englische Kollegen mit der Einstellung „Ja – raus aus Europa – aber erst, wenn ich in Rente in Spanien bin. Sicherlich ist auch noch unklar, ob Briten einfach so in anderen Ländern leben dürfen?

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  4. Es gäbe sooooo viel zu schreiben, aber das würde den Rahmen hier sprengen. Nur eins noch. So viele, die ich gesprochen habe, redeten von „wir verlassen Europa“ (nicht die EU) und das entspricht denke ich dem Selbstverständnis vieler, die schon immer von „UK and Europe“ sprechen… selbst auf amtlichen Dokumenten, Bahnfahrplänen….. Europa… das ist der Kontinent da hinter dem Wasser :-/
    Über lügende Politiker, Ängste, fehlende Intelligenz oder Emphatie und und und könnten wir auch reden. Aber dann… dann müssen wir auch immer mal einen Blick auf unser Land und unsere Parteien Landschaft werfen…
    Lasst uns weiter hoffen.

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    1. Bliebe noch zu erwähnen, die Geschichte von der Geografie Lehrerin an einer nicht ganz armen Privatschule im englischen Süden, die ihre Praktikantin (eine Bekannte von mir) im Jahr 2016 bat ihr zu helfen den Kindern zu zeigen wo genau Deutschland, Dänemark und die Niederlande auf der Karte liegen. Sie würde das immer durcheinanderbringen…
      Dazu passt dann ja, dass man auch den Europäischen Gerichtshof ablehnt.
      Das macht mir Angst!
      Ich gebe dir Recht, dass es bei uns vermutlich auch nicht viel besser läuft mit den Lügen und Manipulationen in der Politik und Wirtschaft.
      Aber ich gehe mal davon aus, dass ein Engländer, der mit einem Deutschen verheiratet ist und hier leb nicht die Ausweisung fürchten muss und ich hoffe doch stark, dass dem volljährigen Kind aus dieser Ehe, wenn es 15 Jahre hier gelebt hat, nicht der deutsche Pass verweigert würde. Was das Home Office sich da jetzt schon leistet (ob Schlamperei oder Absicht???), ist einfach nur furchtbar!

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  5. Ich denke/hoffe auch, dass das so ist. Einzelfälle gibt es immer – die integrierte syrische (?) Familie, die wegen eines Versehens abgeschoben wurde und nun wegen Formalien nicht zurückkommen kann. Wo ich vorsichtig bin ist das Thema der Ausländerfeindlichkeit, solange wir eine AfD mit diesen Wahlergebnissen haben…
    Britta…. werden wir zu politisch?

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  6. Danke für diesen Insider-Einblick….Medienberichte sind immer Einseitig und zeigen das, was einzelne wollen…..dein Bericht zeigt die Ehrliche Seite der Bürger!

    Sehr gut und interessant

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  7. Ich politisiere ja normalerweise nicht gern, aber zu diesem wichtigen Thema muss ich (Steffi) auch mal meinen Senf dazugeben ..
    Wie kann man über einen so wichtigen Sachverhalt nur das Volk entscheiden lassen? Das ist Populismus in Reinform! Selbst Wirtschaftsexperten können nicht absehen, wie sich der Brexit auswirken wird, und dann soll darüber das VOLK entscheiden? Das ist ja noch dämlicher als das Votum über Stuttgart 21! 🙂

    Meiner Meinung nach handelt es sich hier um den uralten und noch immer modernen Trick: Ich lenke mit dieser Maßnahme wunderbar von der Tatsache ab, dass die meisten (sozialen und wirtschaftlichen) Probleme eigentlich „hausgemacht“ sind. Nee, wir behaupten einfach mal, die EU sei an allem schuld!
    Leider haben wir in Diskussionen mit Engländern vor dem Brexit nicht so argumentiert, weil wir einfach nicht glauben konnten, dass GB wirklich austreten würde.
    Gut, dass es so ein Plebiszit auf Bundesebene in Deutschland nicht gibt. Wer weiß, welchen Blödsinn das „Volk“ bei uns verzapfen würde. Die Aufgabe von Politikern ist, sich Expertenmeinungen einzuholen und nach bestem Wissen und Gewissen zu entscheiden. Solch wichtige Entscheidungen kann man nicht dem Volk überlassen, das oft nicht die Bildung, die Zeit und das Interesse hat, sich wirklich mit hochpolitischen und wirtschaftlichen Themen zu befassen. Steffi vom lecw-blog eingeschlossen. Amen! 🙂

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  8. Wir teilen Deinen Eindruck: auch wir haben auf unserer Reise durch Nord- und Mittelengland keinen einzigen Brexit-Befürworter getroffen und uns dazu immer wieder Gedanken gemacht. Insbesondere stellt sich die Frage, wie es nach dem Brexit weitergeht. Vielleicht gelingt es mit Hilfe der Digitalisierung das Schlimmste abzuwenden?

    Schau mal hier: https://14tage.wordpress.com/2018/06/12/sonntag-13-08/

    Herzliche Grüße

    Christina

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